Wird in einem gerichtlichen Verfahren, für das der bedürftigen Partei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe bewilligt und ein Anwalt beigeordnet worden ist, ein Vergleich geschlossen, so erstrecken sich Bewilligung und Beiordnung auch auf den Vergleich. Eine gesonderte Gerichtsgebühr fällt ohnehin nicht an und die Einigungsgebühr des Anwalts zählt zur gesetzlichen Vergütung nach § 45 Abs. 1 RVG.
Soweit die bedürftige Partei einen Vergleich auch über nicht anhängige Gegenstände abschließt (sog. Mehrwertvergleich), bedarf es dagegen eines gesonderten Antrags und einer Erstreckung der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe auf den Mehrwert des Vergleichs. Dieser Erstreckungsantrag kann auch noch nach der Protokollierung des Vergleichs, aber nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden, in der der Vergleich geschlossen worden ist (BAG AGS 2012, 406). Bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs muss der Antrag vor der Beschlussfassung nach § 278 Abs. 6 ZPO gestellt werden. Ein Erstreckungsbeschluss ist nur im Verbundverfahren entbehrlich, soweit der Mehrwertvergleich die in § 48 Abs. 3 RVG genannten Familiensachen betrifft, bei denen eine Erstreckung kraft Gesetzes eintritt.
Wird vom Gericht die Prozesskostenhilfe auf den Mehrwert des Vergleichs erstreckt, so war außerhalb des Anwendungsbereichs des § 48 Abs. 3 RVG bislang umstritten, welche Wirkungen dies hatte.
Die überwiegende Rechtsprechung ging bislang davon aus, dass im Falle einer solchen Erstreckung nur die Einigungsgebühr des Anwalts und des Gerichts erfasst werde, nicht aber auch die durch den Abschluss des Vergleichs entstehende Verfahrensdifferenzgebühr sowie die höhere Terminsgebühr (z. B. OLG Köln AGS 2015, 89).
Nach Auffassung anderer Gerichte sollten auch die Verfahrensdifferenzgebühr und die Terminsgebühr von einem Mehrwertbeschluss erfasst sein, so dass der Anwalt auch diese Gebühren mit der Landeskasse abrechnen konnte (z. B. OLG Karlsruhe AGS 2017, 288).
Eine vermittelnde Auffassung stellte darauf ab, ob zwischen der Hauptsache und den mitverglichenen Gegenständen ein innerer Zusammenhang bestand. In diesem Fall wurden auch Verfahrensdifferenzgebühr und Terminsgebühr aus dem Mehrwert von der Landeskasse übernommen, anderenfalls nicht (z. B. OLG Zweibrücken AGS 2016, 492).
Soweit die Gerichte eine Erstreckung auf die Verfahrensdifferenzgebühr und die Terminsgebühr abgelehnt haben, haben sie aber zum Teil die Möglichkeit eröffnet, die bewilligte Verfahrenskostenhilfe für den Mehrwert des Vergleichs ausdrücklich auf Verfahrens- und Terminsdifferenzgebühr zu erstrecken, wenn dies gesondert beantragt wurde (so OLG Celle AGS 2015, 236). Nach Auffassung anderer Gerichte war auch eine solche Erstreckung unzulässig (OLG Dresden AGS 2016, 21).
Dieser unklaren und widersprüchlichen Partikularrechtsprechung hat der BGH jetzt ein Ende gesetzt und wie folgt entschieden:
Schließen die Beteiligten in einer selbständigen Familiensache einen Vergleich unter Einbeziehung nicht anhängiger Verfahrensgegenstände (Mehrvergleich), hat der unbemittelte Beteiligte einen Anspruch auf Erweiterung der ihm bewilligten Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten auf sämtliche in diesem Zusammenhang ausgelöste Gebühren.
BGH, Beschl. v. 17. 1. 2018 – XII ZB 248/16
Der BGH hat damit klargestellt, dass die Erstreckung der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe auf den Mehrwert eines Vergleichs auch die Verfahrensdifferenz- und Terminsgebühr erfasst. Insoweit bedarf es noch nicht einmal eines gesonderten Ausspruchs.
Der BGH hat gleichzeitig klargestellt, dass eine Beschränkung der Bewilligung auf die Einigungsgebühr aus dem Mehrwert nicht zulässig ist.
Auch wenn der BGH in einer Familiensache entschieden hat, sind die Auswirkungen dieser Entscheidung nicht nur auf Familiensachen beschränkt, sondern gelten für alle Fälle der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, also auch für Zivilsachen oder arbeitsgerichtliche Verfahren, bei denen die gleichen Probleme auftauchen. Abzuwarten bleibt, ob sich die Verwaltungs- und die Finanzgerichtsbarkeit der Auffassung des BGH anschließen, wobei hier allerdings Mehrwertvergleiche seltener sind.
Beispiel:
Im Räumungsprozess ist dem Beklagten Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Im Termin wird ein Vergleich über den Räumungsanspruch geschlossen (Kaltmiete 800 €) sowie über streitige Minderungsbeträge i. H. v. 5.000 €. Das Gericht erstreckt die Bewilligung der Prozesskostenhilfe und die Beiordnung auch auf den Mehrwert des Vergleichs.
Der Anwalt erhält aus der Landeskasse:
- 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 9.600,00 €)
- 0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG (Wert: 5.000,00 €)
gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 14.600,00 €
- 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 14.600,00 €)
- 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (Wert: 9.600,00 €)
- 1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV RVG (Wert: 5.000,00 €)
gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,5 aus 14.600,00 €
- Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG
Zwischensumme
- 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG
Gesamt
399,10 €
205,60 €
435,50 €
402,00 €
307,00 €
385,50 €
502,50 €
20,00 €
1.360,00 €
258,40 €
1.618,40 €
Wird ein schriftlicher Vergleich geschlossen, gilt die gleiche Abrechnung, wenn es sich um ein Verfahren handelt, in dem eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist. Die Terminsgebühr ergibt sich dann aus Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG, die dann auch aus dem Mehrwert entsteht (OLG Saarbrücken AGS 2010, 161).
Lediglich dann, wenn im Verfahren eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben ist, löst der schriftliche Vergleich die Terminsgebühr und damit auch die Terminsdifferenzgebühr nicht aus. In einem solchen Fall kann die Terminsgebühr nur entstehen, wenn die Parteien bzw. die Beteiligten zuvor eine Besprechung i.S.d. Vorbem. 3 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 VV RVG geführt haben.